Der Reichsverrat von Nicolae Iorga: Rumänischer Nationalismus, der Weimarer Republik und ein verzweifelter Versuch, das Erbe des Habsburgerreiches zu sichern

Nicolae Iorga, ein Name, der heute vielleicht weniger bekannt ist, hatte in seiner Zeit einen immensen Einfluss auf die rumänische Geschichte und Politik. Geboren 1871 in dem Dorf Vlădeni im rumänischen Fürstentum Walachei, studierte Iorga Geschichte und Literatur an den Universitäten Bukarest, Leipzig und Berlin. Seine akademische Karriere führte ihn schließlich zurück nach Rumänien, wo er Professor für Geschichte an der Universität Bukarest wurde. Doch Iorgas Ambitionen reichten weit über die akademische Welt hinaus.
Er war ein glühender Verfechter des rumänischen Nationalismus und sah sich als den Retter seines Volkes. In seiner Vision sollten die Rumänen nicht nur ihre eigene nationale Identität stärken, sondern auch die Grenzen des rumänischen Staates erweitern. Iorga träumte von einem Großrumänien, das alle Gebiete mit rumänischer Bevölkerungsmehrheit einbeziehen würde – Transilvanien, Bukowina und Bessarabien.
Diese Vision war jedoch nicht nur durch den Wunsch nach Selbstbestimmung motiviert. Iorga war auch tief überzeugt davon, dass die Habsburgermonarchie als politische Einheit am Ende ihrer Lebenszeit stand und dass das Erbe dieses Reiches neu verteilt werden müsste. In seinen Augen war Rumänien der ideale Kandidat, um Teile dieser Lücken zu füllen.
Die Zeit des Ersten Weltkriegs bot Iorga die Chance, seine Visionen Realität werden zu lassen. Nach dem Krieg zerfiel die Habsburgermonarchie und die alten Grenzen Europas wurden neu verhandelt. Doch während andere Nationen ihre Forderungen auf militärische Siege und territoriale Gewinne basierten, argumentierte Iorga für die kulturelle Einheit der rumänischen Bevölkerung. Er sah sich als Sprachrohr für alle Rumänen in den ehemaligen Kronländern Österreich-Ungarns und forderte deren Integration in ein größeres, geeintes Rumänien.
Doch dieser Plan stieß auf Widerstand, sowohl von Seiten der europäischen Mächte, die nach dem Krieg vor allem an politischen Stabilität interessiert waren, als auch von den anderen ethnischen Gruppen in den betroffenen Gebieten.
Die Spannungen zwischen Iorgas Visionen und der Realität führten schließlich zu einem dramatischen Ereignis: dem “Reichsverrat” Nicolae Iorgas. 1920 wurde er wegen Spionage und Hochverrats angeklagt. Der Vorwurf lautete, dass er während des Ersten Weltkriegs Geheiminformationen an die rumänische Regierung weitergegeben hatte, um deutsche Interessen zu schädigen.
Obwohl Iorga die Anschuldigungen vehement bestritt, wurden sie von der deutschen Justiz ernst genommen. Die damalige politische Situation in Deutschland spielte dabei eine große Rolle. Nach dem Krieg waren viele Deutsche auf der Suche nach Schuldigen für die Niederlage und fühlten sich von der rumänischen Regierung betrogen.
Der “Reichsverrat” des Nicolae Iorga war ein komplexes Ereignis, das viele Facetten hatte. Es war nicht nur ein individueller Fall, sondern spiegelte auch die politischen und sozialen Spannungen wider, die Europa nach dem Ersten Weltkrieg durchzogen. Die Geschichte Iorgas zeigt uns, wie nationale Ideologien und politische Opportunismen zu Konflikten führen können und wie wichtig es ist, den Kontext historischer Ereignisse zu verstehen.
Iorgas Vision eines Großrumäniens wurde zwar nie Realität, sein Kampf für die rumänische Nation hinterließ jedoch eine bleibende Spur. Iorga gilt bis heute als einer der bedeutendsten rumänischen Historiker und Denker des 20. Jahrhunderts.